Die Online-AU-Bescheinigung

Die Online-AU-Bescheinigung

Die Online-AU-Bescheinigung

Einige Diensteanbieter bieten - neben Bürgertests - eine "Online-Krankschreibung" für (z.B.) 14 Euro mit und ohne Videochat an. Ohne Videochat kann man sich mit den Diagnosen Erkältung/Grippe, Magen-Darm-Grippe, Corona-Symptome, Stress, Migräne, Rückenschmerzen, Regel Schmerzen, Blasen Entzündung und "Beliebiger Grund" eine AU-Bescheinigung ausstellen lassen. Mit Videochat sind die Diagnosen Erkältung/Grippe, Magen-Darm-Grippe, Depression/Burnout und "Beliebiger Grund" möglich.

In der Variante ohne Videochat klickt man sich durch einen kurzen Fragebogen durch und beantwortet u.a. die Frage, für wie lange (Tage) man sich arbeitsunfähig fühlt. Danach wird bestätigt, dass div. Ausschlusskriterien nicht erfüllt sind, dann werden die persönlichen Daten ausgefüllt, bezahlt und nach 5 Minuten kommt eine AU-Bescheinigung als pdf in dem Format und Layout, wie es bei niedergelassenen Kassenärzten üblich ist.

Der Anbieter wirbt damit, dass diese AU-Bescheinigungen ohne Videochat zu 90% von Arbeitgebern akzeptiert werden und mit Videochat gibt es eine 100% "Lohnerstattungs-Garantie".

Ist das zulässig?

Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht stellt dieses Angebot als Werbung für eine Fernbehandlung einen Verstoß gegen das heilmittelwerbliche Verbot der Fernbehandlung dar (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 18.10.2021, Az. 3 U 148/20) und ist unzulässig.

Auch arbeitsrechtlich stellt diese Form der Ferndiagnose ein Problem dar. Denn es handelt sich in beiden Fällen - mit und ohne Videochat - NICHT um eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Die Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie (AU-RL) gibt vor, dass die AU nur aufgrund einer unmittelbar persönlichen ärztlichen Untersuchung festgestellt werden darf. Das schließt eine Ferndiagnose ohne Kontakt zwischen Arzt und Patient aus, insbesondere wenn lediglich ein Formular ausgefüllt wird oder Fragen per Chat/WhattsApp beantwortet werden.

Telefonische Sprechstunden sind aufgrund einer pandemiebedingten Ausnahme derzeit nur noch bis 31.03.2022 zulässig, wenn es sich um eine Erkrankung der oberen Atemwege ohne schwere Symptomatik handelt (§ 8 Abs. 1 AU-RL). Dann kann für max. 7 Tage die AU festgestellt werden, eine Folgebescheinigung für weitere max. 7 Tage.

Seit Oktober 2020 gibt es daneben die Möglichkeit der Video-Sprechstunde (§ 4 Abs. 5 AU-RL). Diese ist allerdings nur dann zulässig, wenn Patient und Arzt aufgrund früherer Behandlung unmittelbar persönlich miteinander bekannt sind und die Erkrankung eine Ferndiagnose nicht ausschließt (z.B. wenn Abtasten oder Abhören notwendig sind). Dann darf eine AU für max. 7 Tage bescheinigt werden, eine Folgebescheinigung aber nur, wenn eine unmittelbare Untersuchung stattgefunden hat.

FOLGE:
Das heißt, dass die AU-Bescheinigung ohne Video-Chat in jedem Fall nicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist und keinerlei Beweiswert für das Vorliegen einer Erkrankung hat (vgl. z.B. Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 01.04.2021, Az. 42 Ca 16289/20). Der Arbeitgeber darf die AU-Bescheinigung zurückweisen. Da dies häufig nach der krankheitsbedingten Fehlzeit geschieht, hat der/die Arbeitnehmer/in nun das Problem, die Arbeitsunfähigkeit im Nachhinein beweisen zu müssen und verliert, da dies selten möglich sein wird, seinen Lohnanspruch. Weiterhin setzt er/sie sich ggf. dem Vorwurf des Vortäuschens einer AU aus, was auch eine Kündigung zur Folge haben kann.

Die AU-Bescheinigung infolge eines Video-Chats wäre allenfalls dann "ordnungsgemäß", wenn Arzt und Patient sich aufgrund vorheriger Behandlung kennen. Das dürfte hier ein seltener Zufall sein, da die den Portalen angeschlossenen Ärzte i.d.R. weiter weg sitzen, wenn sie überhaupt eine Praxis haben. Auch hiervon kann also nur dringend abgeraten werden!

Für den Arbeitgeber ist natürlich schwer erkennbar, wie die Bescheinigung zustande gekommen ist. Hier hilft allerdings die Benutzung einer gängigen Suchmaschine. Nicht selten existiert der ausstellende Arzt nicht oder sitzt weit entfernt, was dafür sprechen dürfte, dass Arzt und Patient sich nicht kennen. Und die gängigen Portale dürften inzwischen auch bekannt sein.

Sören Riebenstahl, Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht